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Interview mit einer Tanztherapeutin

Es geht nicht um Perfektion, sondern um Emotion – Interview mit Tanztherapeutin Eszter Schweer

Eine Gruppe tanzender Menschen auf einer Wiese
Foto: Martin Scherag/LVR

Von: Lydia Schmölzl

Was passiert eigentlich während einer Tanztherapie? Wem kann sie wie helfen? Und wie wird man Tanztherapeut*in? Das sind Fragen, die nicht nur wir uns stellen. Deswegen haben wir eine Frau interviewt, die sich auskennt. Eszter Schweer arbeitet seit 20 Jahren als Tanztherapeutin in der LVR-Klinik Köln. Zum heutigen Welttanztag lässt sie uns hinter die Kulissen dieser ganz besonderen Form der Bewegung und Therapie blicken.

Liebe Frau Schweer, danke, dass Sie sich Zeit nehmen. Wie wird man eigentlich Tanztherapeutin? Und wie sah Ihr Weg aus?

Ich habe damals in der LVR-Klinik Köln als Sport- und Bewegungstherapeutin angefangen und währenddessen berufsbegleitend an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster „Tanztherapie“ studiert. Das Studium ging über sechs Semester und die Kosten musste ich selbst tragen. Das war es mir aber wert. Allgemein ist es leider so, dass der Begriff „Tanztherapeut*in“ nicht geschützt ist, es gibt also keinen vorgeschriebenen Weg, den man gehen muss. Was allerdings existiert, sind einige Regularien und Voraussetzungen, die aus meiner Sicht auch absolut sinnvoll sind, denn die Tanztherapie versteht sich als eine Form der Psychotherapie und ist auch als solche anerkannt.

Zunächst einmal benötigt man das Abitur und muss entsprechende Erfahrung in einem medizinischen, therapeutischen oder pädagogischen Bereich vorweisen können. Mindestens drei Jahre. Selbstständige Tanztherapeut*innen brauchen darüber hinaus den Heilpraktikerschein für Psychotherapie. Zuguterletzt sind natürlich gewisse tänzerische Kenntnisse unabdingbar, denn das ist quasi die Werkzeugkiste, aus der man sich bei der Arbeit später bedient. Ich musste beispielsweise damals vor meiner Zulassung an der Uni ein Vortanzen absolvieren. Ganz wichtig ist aber: Das gilt nur für die Therapeut*innen und nicht für die Teilnehmer*innen einer Therapie. Da sind wirklich keinerlei tänzerische Vorkenntnisse nötig.

Was können wir uns unter einer Tanztherapie vorstellen? Wie läuft eine Stunde normalerweise ab?

Wichtig ist, dass Tanz als Therapieform nicht mit Gesellschaftstanz oder Ballett gleichzusetzen ist. Hier geht es darum, die körperlichen und kognitiven Prozesse eines Menschen zu integrieren und dazu holen wir individuell jeden dort ab, wo er*sie gerade steht. Deswegen sehen natürlich auch die Stunden und Therapien sehr unterschiedlich aus. In der Regel ist es aber so, dass ich zunächst einmal mit den Menschen spreche und schaue, wie die Stimmung ist. Manchmal muss ich ihnen auch die Angst oder den Respekt vor der Therapie nehmen, da viele immer noch glauben, es ginge darum, einen perfekten Tanz zu zeigen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Bei der Tanztherapie geht es überhaupt nicht um Perfektion, sondern um Emotion.

Die Stunde selbst beginnen wir mit einem Warm-up. Dabei stellen wir uns ganz bewusst hin – am besten barfuß – und erkunden erst einmal den Stand. Wo ist das Becken, der Oberkörper, der Kopf? Wo sind Stellen verkrampft? Dann geht es darum, sich bewusst aufzurichten und zu positionieren. Im Laufe der Stunde können dann – je nach Ziel der Therapie und Bedürfnis der Teilnehmer*innen – verschiedene Übungen zum Einsatz kommen, zum Beispiel je nach Musik besonders kleine oder große, schnelle oder langsame Bewegungen. Ziel ist es, zu erspüren, welche Bewegung sich genau in dem Moment individuell richtig und gut anfühlt und was dabei zum Ausdruck kommt. Aus diesen kleinen Schritten können wir später einen ganzen Tanz entwickeln, zum dem jede*r einen Teil beigetragen hat und in dem sich alle wiederfinden. Ich achte immer darauf, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Teilnehmer*innen mir vertrauen und sich bedenkenlos öffnen können. Bei der Tanztherapie geht es niemals um Bewertung, sondern nur um Beobachtung. Es gibt schlichtweg kein richtig oder falsch bei den Bewegungen, sondern nur das, was sich durch den Körper und den Tanz mitteilen möchte. Alles ist authentisch und wichtig.

Ein großer Bestandteil vieler Therapien ist auch das Nachahmen und Spiegeln, das man entweder mit Partner*innen oder mit mir als Therapeutin macht. Der Wechsel aus geführt werden und führen, schult und trainiert Selbst- und Fremdwahrnehmung sehr gut. Man lernt eine Menge über sich selbst und die anderen und hier lassen sich häufig Parallelen zum Leben der Teilnehmer*innen ziehen. Beim Tanzen bleibt nichts verborgen.

Eine Gruppe von Menschen im Kreis auf einer Wiese
Foto: Martin Scherag/LVR

Wem hilft eine Tanztherapie?

Das Spektrum ist wirklich groß; da ist die Psychiatrie nur ein Teil der großen Menge. Tanztherapie kommt zum Beispiel auch bei Kindern, im Bereich der Sonderpädagogik, bei Krebspatient*innen oder in der Psychosomatik zum Einsatz. Die Verbindung von Bewegung und Kommunikation durch Tanz hilft den Menschen natürlich auch, ein realistisches Körperbild zu entwickeln und ist deswegen für Menschen mit einer Essstörung gut geeignet.

Im Kern geht es darum, auszudrücken, was mit Worten nicht gesagt werden kann. Erlebnisse zu verarbeiten, die wir nicht verbalisieren können und genau das durch Körper und Bewegung mitzuteilen. Deswegen eignet sich die Tanztherapie auch für Menschen, die viel Stress bewältigen müssen oder zum Beispiel Depressionen haben. Die Therapie trägt ganz entscheidend zur Stimmungsaufhellung bei, schon alleine dadurch, dass wir uns während der Stunden oft aufrichten und eine Vielzahl der Bewegungen nach oben geht. Ich hatte schon viele depressive Patient*innen, die nach einer Stunde den ganzen Tag keine Bedarfsmedikation mehr brauchten. Das ist der kurzfristige Effekt, langfristig kann die Therapie allgemein zu einer ausgelicheneren und positiveren Gesamtstimmung führen.

Wie lange therapieren Sie Ihre Patient*innen im Schnitt?

In der Psychiatrie ist das leider nicht immer so einfach zu sagen, da die Verweildauer der Patient*innen in der Klinik allgemein im Laufe der letzten Jahre immer kürzer geworden ist. Manchmal können wir die Therapie fortsetzen, wenn sie danach in die Tagesklinik kommen, ansonsten kann es auch sein, dass ich eine*n Patient*n nur vier Wochen betreue.

Wie beantragt man eine Tanztherapie oder wer kann sie verordnen?

Bei uns in der LVR-Klinik verordnen das die behandelnden Ärzte. Es gibt aber auch Angebote, beispielsweise von Heilpraktiker*innen, die für alle zugänglich sind. Dort bezahlt man privat und kann dann an den Therapiestunden teilnehmen.

Vielen Dank für das tolle Interview, das uns das Thema Tanz noch einmal auf einer ganz anderen Ebene zugänglich gemacht hat.