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Blue Beanie Day

Blau für Barrierefreiheit – Der „Blue Beanie Day“

Ein aufgeklappter Laptop mit einer blauen Mütze seitlich auf dem Bildschirm

Von Lydia Schmölzl

Was haben blaue Mützen mit digitaler Barrierefreiheit zu tun? Und was genau bedeutet überhaupt digitale Barrierefreiheit? Diese Fragen beantworten wir Ihnen heute und haben uns außerdem mit Andrea Steinert unterhalten, die beim LVR im Fachbereich Kommunikation für genau dieses Thema verantwortlich ist.

Alles begann mit dem Buch „Designing with web standards“. Genauer gesagt mit seinem Cover. Und obwohl man ein Buch nicht nach seinem Cover bewerten soll, dieses ist im Gedächtnis geblieben. Darauf zu sehen war der Autor des besagten Buchs, Jeffrey Zeldman, mit – genau – einer blauen Mütze. 2007, vier Jahre nach Erscheinen des Buchs, hat Douglas Vos dann den „Blue Beanie Day“, also den „Tag der blauen Mützen“, ins Leben gerufen. Ein Aktionstag, der sich dafür einsetzt, dass Webstandards eingehalten werden, die das Internet und die gesamte digitale Welt so zugänglich und barrierefrei wie möglich gestalten.

Was sind Webstandards und warum sind sie so wichtig?

Das Buchcover zu "designing with web standards" zeigt Jeffrey Zeldmann mit einer blauen Mütze auf dem Kopf.
Cover "Designing with web standards" Foto: @Peachpit / New Riders Press

Standardisierte Verfahren und Methoden gibt es in fast jeder Branche und in jedem Bereich des Lebens. Das beginnt bei alltäglichen Dingen: Wie hoch dürfen Treppenstufen sein? Welche Farben nutzen Ampelsysteme? Stellen Sie sich vor, jeder würde täglich von Neuem entscheiden, welche Farben eine Ampel haben soll. Niemand würde sich mehr zurechtfinden. Der Straßenverkehr würde noch unübersichtlicher und – insbesondere für Menschen mit Behinderungen – weniger zugänglich und noch komplizierter zu meistern. Wie sehr wir an solche Standards gewöhnt sind, zeigt sich schnell bei einer Reise in andere Länder – wo beispielsweise Linksverkehr herrscht oder die „grüne“ Ampel nicht grün, sondern weiß ist, wie in Amerika.

In der Webentwicklung fehlten solche Standards lange Zeit. Das hatte zur Folge, dass Webentwickler*innen dieselbe Webseite in vielen verschiedenen Versionen programmieren mussten, damit sie mit jedem Browser aufgerufen werden konnten. Oder sie haben genau das nicht getan – und Menschen, die einen bestimmten Browser nutzten, konnten die Webseite dann eben nicht besuchen. Mit dem „Webstandards-Programm“ haben Jeffrey Zeldman und seine Kolleg*innen große Tech-Konzerne und nach und nach auch immer mehr Webdesigner*innen davon überzeugen können, standardisierten Code anzuerkennen und zu verwenden. Die Bewegung der „blauen Mützen“ war geboren.

Webstandards und die Barrierefreiheit

Heutzutage geht es nicht mehr nur um die Zugriffsmöglichkeiten mit verschiedenen Browsern, sondern auch um Standards, die sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen Webseiten aufrufen, sich informieren und an Diskussionen und dem digitalen öffentlichen Leben teilnehmen können. Damit Screenreader die Inhalte von Webseiten vorlesen können, müssen diese nach bestimmten Regeln programmiert und die Inhalte entsprechend eingepflegt werden.

Besonders während der Corona-Pandemie haben digitale Medien enorm an Bedeutung gewonnen. Es hat sich viel bewegt. Wichtig ist, dass all die verstärkt genutzten Formate wie Online-Besprechungen und online Antragsstellungen nun dahingehend weiterentwickelt werden, dass sie von allen Menschen bequem genutzt werden können. Also auch von Menschen, die nicht gut sehen oder hören können, die Lernschwierigkeiten haben, oder die zum Beispiel ihre Arme nicht bewegen können. Bisher ist die Zugänglichkeit häufig noch nicht gegeben. Zum Teil bieten Plattformen bestimmte Funktionen schlicht nicht an. Einem Video auf Facebook kann beispielsweise keine Audiodeskription beigefügt werden, bei der blinden Menschen vorgelesen wird, was in dem Video zu sehen ist. Und sehr viele Internetauftritte haben in der Programmierung noch Mängel, sodass Screenreader sie nicht ohne Stolpern vorlesen können. Hier muss noch mehr Aufklärungsarbeit geleistet und die Motivation der Menschen erhöht werden. Genau dafür sind Aktionstage wie der „Blue Beanie Day“ wichtig.

Wir haben uns mit Andrea Steinert darüber unterhalten, die im „Fachbereich Kommunikation“ des LVR für das Thema „Digitale Barrierefreiheit“ zuständig ist:

Frau Steinert, wie kann man die Sensibilisierung der Menschen für digitale Barrierefreiheit und die Einhaltung der Webstandards weiter erhöhen?

Jede*r sollte sich klarmachen, dass eine „Behinderung“ nichts ist, was per se immer nur andere trifft. Am offensichtlichsten wird das, wenn wir daran denken, dass auch wir älter oder alt werden. Dann lässt vielleicht das Augenlicht nach, man hört nicht mehr gut, die Finger sind nicht mehr so wendig, man wird in allem langsamer. Wer will da noch Captchas entschlüsseln und eingeben? (Anm. d. Red.: Ein Captcha sind die Bilder, auf denen Zahlen oder Buchstaben stehen, die wiederum in ein Feld abgetippt werden müssen.) Wer wünscht sich da noch hellgraue Schrift auf weißem Hintergrund? Wer ärgert sich da nicht über einen rauschenden Ton bei einem Video ohne Untertitel?

Was kann denn jede*r Einzelne tun, um die Barrierefreiheit im Netz zu verbessern?

Wir können bei unseren Postings in den sozialen Netzwerken auf Folgendes achten: Bilder sollten immer einen Alternativtext besitzen. Dann können Screenreader den Text alternativ zum Bild vorlesen. Außerdem sollte das Zeichen „!B“ im Anschluss an den Postingtext und vor den Hashtags eingefügt werden. Dies informiert darüber, dass ein Alternativtext vorhanden ist. Videos sollten nicht zu kleinteilig sein und gute Kontraste besitzen. Wichtig ist auch eine gute Tonqualität. Außerdem sollten Untertitel eingefügt werden und, wenn umsetzbar, auch eine Audiodeskription.

In Bezug auf Hashtags gilt: Abkürzungen, bei denen die Buchstaben einzeln vorgelesen werden sollen, müssen großgeschrieben sein, also zum Beispiel #LVR. Der Hashtag zum Aktionstag ist übrigens #BlueBeanieDay. Auch hier sollte darauf geachtet werden, den jeweils ersten Buchstaben eines neuen Wortes großzuschreiben. Und natürlich sollte die Sprache gut verständlich sein. Viele weitere gute Tipps gibt es auch auf "Barrierefrei Posten"

Was ist besonders wichtig, wenn ich für mich oder mein Unternehmen eine eigene Webseite habe?

Auch hier müssen Bilder natürlich mit Alternativtexten versehen werden. Videos benötigen Untertitel und eine Audiodeskription. Gehörlose Menschen freuen sich in der Regel über Gebärdensprachvideos, weil für viele die Deutsche Gebärdensprache die Muttersprache ist, und deutsche Schriftsprache wie eine Fremdsprache erst gelernt werden muss. Wichtig sind auch eine einfache Sprache und eine gute Strukturierung der Texte. Außerdem sollten die Inhalte sorgfältig in die Pflegemasken eingegeben werden, denn in der Regel wird der höchstmögliche Grad an Barrierefreiheit erreicht, wenn vorhandene Eingabemasken (beispielsweise bei Typo3 oder Wordpress) so genutzt werden wie vorgesehen. Man kann seinen Internetauftritt auch auf Barrierefreiheit prüfen lassen, entweder von einer spezialisierten Stelle, zum Beispiel einer Web-Agentur mit Fachkompetenz, oder, bei ausreichend Sachkenntnis, selbst die Barrierefreiheit überprüfen. Das Projekt „Barrierefrei informieren und kommunizieren“ der DIAS GmbH (Daten, Informationssysteme und Analysen im Sozialen) hat auf seiner Internetseite hierfür Prüfschritte veröffentlicht: https://www.bitvtest.de/bitv_test/das_testverfahren_im_detail/pruefschritte.html

Hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren da was getan? Setzen mehr Menschen auf ein barrierefreies Netz und inklusive Mediengestaltung?

In den vergangenen Jahren hat sich hier sehr viel getan. Zum Beispiel haben die öffentlich-rechtlichen Medien ihre Barrierefreiheits-Angebote stark ausgebaut und bieten hochwertige Videos in Deutscher Gebärdensprache an. Und auch die Europäische Union hat sich des Themas angenommen. Vorschriften, die es bislang nur auf dem Papier gab, müssen von den Mitgliedsstaaten inzwischen auch kontrolliert werden.

Vielen Dank, Frau Steinert!

Sich heute, am Blue Beanie Day, eine blaue Mütze oder Kappe aufzusetzen, ist also wichtig und sinnvoll. Kaum ein Medium wächst so schnell und wandelt sich so beständig wie das Internet und die sozialen Medien. In den letzten Jahren sind neben den klassischen Webseiten auch Apps ein immens großer und relevanter Bestandteil der digitalen Kommunikation geworden. Dementsprechend ist es umso wichtiger, auch hier die Maßgaben barrierefreier Programmierung und Gestaltung zu beachten, beispielsweise durch die Möglichkeit einer Sprachausgabe, veränderbare Schriftgrößen und den Einsatz entsprechender Kontraste. Mehr Informationen zu „Universellem Design“, das einer größtmöglichen Zielgruppe den Zugang zu Informationen und Medien ermöglichen soll, finden Sie hier: http://www.di-ji.de/index.php?option=com_content&view=article&id=45&catid=9&Itemid=14&lang=de

Wir wünschen Ihnen „standardmäßig“ einen tollen „Blue Beanie Day“!