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Interview mit den Produzenten

Ein Blick hinter die Kulissen

"SEIN - Die Show der Begegnung". (Bild: Lucie Ella Jürgens / LVR)
"SEIN - Die Show der Begegnung". (Bild: Lucie Ella Jürgens / LVR)

Ein dreiviertel Jahr haben Lisette Reuter und Jan Niclas Schatka an „SEIN – Die Show der Begegnung“ gearbeitet. Das Duo war für die künstlerische Leitung und Produktion verantwortlich. Am 30. Juni 2018 bei der ExtraSchicht in Oberhausen fand die Premiere statt. Gemeinsam blicken beide zurück und berichten vom Entwicklungsprozess, Höhepunkten und berührenden Momenten:

Nachdem ihr beide gemeinsam mit der Choreografin und dem musikalischen Leiter über mehrere Wochen ein Konzept für die Show erarbeitet habt, kam ein besonders spannender Teil des Entstehungsprozesses: die Probenphase. Diese bestand aus vier Tagen intensiven Trainings mit dem gesamten Ensemble. Was war euer persönliches Highlight dieser Probenwoche?

Jan Niclas Schatka:

Eines meiner Highlights war, dass wir uns Gebärdennamen gegeben haben. So konnten wir gemeinsam mit dem gehörlosen Tänzer Dodzi und der Kommunikationsassistentin Stella miteinander und übereinander sprechen. Ein Gebärdenname ist eine besondere Geste, die etwas über den Charakter der Person aussagt. Mein Gebärdenname handelt zum Beispiel davon, dass ich einen Doppelnamen und ein Unterlippenbärtchen habe und sehr viel rede. Die Show wird irgendwann vorbei sein, aber mein Gebärdenname bleibt. Zugleich waren unsere Gebärdennamen der Start für einen selbstverständlichen Umgang in der Gruppe mit jeder und jedem Einzelnen.

Und was war dein Highlight, Lisette?

Lisette Reuter:

Für mich war es ein besonderer Moment als Tom, unser Tänzer mit Down-Syndrom, das Warm-up für den Tag gemacht hat. Jeden Tag hat jemand anderes aus dem Ensemble diese Aufgabe übernommen. Das Feedback war, dass das Warm-up von Tom mit Abstand das beste war – es war effektiv, alle kamen gut ins Schwitzen, und es hat viel Spaß gemacht. Ich arbeite schon sehr lange mit Tom und beobachte seine künstlerische und persönliche Weiterentwicklung. Dass er mittlerweile in der Lage ist, völlig selbstverständlich für die anderen Künstlerinnen und Künstler ein solches anspruchsvolles Warm-up zu leiten, ist ein riesengroßer Schritt. Das war eines meiner persönlichen Highlights!

„SEIN – Die Show der Begegnung“ verarbeitet auf künstlerische Weise das Thema Inklusion. Welche Geschichte erzählt ihr in der Show?

Jan Niclas Schatka:

Die Geschichte ist in einem Prozess entstanden. Unser erster Gedanke im Sinne einer inklusiven Gesellschaft war, alle Menschen sind gleich. Im Laufe des Entstehungsprozesses haben wir gemerkt, genau in diesem Gedanken liegt die Hürde, die unsere Gesellschaft für die Inklusion überwinden muss: Es ist ein Problem, dass wir alle gleich sein wollen, denn wir müssen nicht alle gleich aussehen oder die gleichen Fähigkeiten haben, sondern alle sollen gleichwertig behandelt werden. Die Vielfalt bereichert uns, sodass am Ende der Show das N vom Titel SEIN wegbricht und es bleibt die Botschaft stehen: SEI – wie du bist!

Und wie setzt ihr diese Botschaft auf der Bühne um?

Lisette Reuter:

Wir spielen in der Show mit dem Gleichzeichen, geformt aus zwei Stäben. Was kann man alles aus den Strichen von Gleichzeichen machen? Plus, Minus, Hashtag und noch vieles mehr… Damit symbolisieren wir Vielfalt. Auch das Ensemble besteht aus elf sehr unterschiedlichen Menschen mit vielfältigen Stärken und Talenten. Am Anfang der Show takten sie noch alle gleich und dann brechen die Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderung aus und zeigen ihre Vielfalt. So machen wir den Mehrwert von Individualität deutlich.

Ihr habt beide beruflich schon viele Shows produziert. Dennoch hat jede Produktion ihre individuelle Geschichte und Entstehung. Was war für euch das Besondere an der Produktion von „SEIN − Die Show der Begegnung“?

Jan Niclas Schatka:

Die Show hat eine sehr wertvolle Botschaft, das finde ich toll. Außerdem war für mich der Prozess, den wir mit den Menschen erlebt haben, sehr besonders und hatte eine einzigartige Dynamik. Die Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Einschränkungen und das gesamte Produktionsteam sind in der kurzen Probewoche schnell zusammengewachsen. So war ein harmonisches und professionelles Arbeiten möglich.

Lisette Reuter:

Die einzigartige Dynamik, die Jan anspricht, ist immer das Besondere, wenn man inklusiv arbeitet. Alle müssen sich erst einmal aneinander gewöhnen. Zum Teil müssen auch Hemmschwellen überwunden werden, weil man ganz anders miteinander arbeiten muss. Man erlernt miteinander neue Formen der Kommunikation, denn wenn man zum Beispiel einen gehörlosen Künstler wie Dodzi hat, kann man nicht einfach drauf lossprechen, sondern muss lernen, mit ihm und der Kommunikationsassistentin zu kommunizieren. In solchen Momenten spürt man ganz besonders die Vielfalt – die individuellen Bedürfnisse und Bedarfe. Nur wenn man diese berücksichtigt, kann am Ende eine professionelle Show entstehen. Das Feedback von der Truppe – gerade auch von den Künstlerinnen und Künstlern, die noch nie inklusiv gearbeitet haben − war: Für sie ist es eine wahnsinnige Bereicherung gewesen, diese Erfahrung gemacht zu haben, mit solch talentierten, vielfältigen Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten.

Die entstandene Show thematisiert Inklusion mit viel Leichtigkeit: Musik, Gesang, Tanz und Akrobatik vermischen sich zu einer kurzweiligen und unterhaltsamen Bühnenshow. Was möchtet ihr dem Publikum mit auf den Weg geben?

Lisette Reuter:

Vielfalt ist eine Bereicherung für alle. Individualität, Toleranz und Akzeptanz sind wichtig für eine Gesellschaft. Wir möchten zeigen, dass Menschen mit Beeinträchtigung wahnsinnig tolle Künstlerinnen und Künstler sind. Oft sind es speziell diese Menschen, die in der Lage sind, ganz andere einzigartige und hochkarätige Kunst zu produzieren und das künstlerische Vokabular erweitern. Wir wünschen uns, dass Inklusion und Vielfalt in der Kunst professionell anerkannt und als Bereicherung wahrgenommen wird.

Vielen Dank für diesen Einblick hinter die Kulissen!

Das Interview führte Sara von Knobelsdorff