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Manchmal vergisst sogar der Chef, wer hier eine Behinderung hat

Ein Mann und zwei Frauen in einer Großküche. Die beiden Frauen tragen weiße Kittel. Eine Frau hält einen Teller mit einem Stück Kuchen.
Ulrich Lütke mit seinen beiden Mitarbeiterinnen Rebecca Miebach und Sarah Samse. Foto: Manfred Hogreve / LVR

Das Cateringunternehmen „Der Hauskoch“ aus Wesel beschäftigt mehr Menschen mit Behinderung, als es muss. Auch die gehörlose Rebecca Miebach gehört seit 2013 zum Team.

Auf die Frage, wie viele seiner Mitarbeitenden eine Behinderung haben, zuckt Ulrich Lütke nur mit den Schultern. Weiß er nicht, interessiert ihn auch gerade nicht. Heute stehen Currywurst mit Schmörgelchen, Maultaschen mit Tomatensauce und Putenbrust mit Gemüsereis auf dem Speiseplan. Der Chef packt in der Großküche mit an. Früh am Morgen ist hier am meisten los. 1.900 Mittagessen müssen vorbereitet werden – für Kindergärten, Schulen und Privatpersonen.

Ulrich Lütke hat die Catering-Firma in Wesel vor 19 Jahren als Ein-Mann-Betrieb gegründet. Heute beschäftigt er mehr als 52 Mitarbeitende. „Das ist für mich nicht nur ein Erfolg, sondern auch eine Verantwortung“, sagt der gelernte Koch und ergänzt: „Ich muss dafür sorgen, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Arbeit haben. Aber das kann ich.“ Ulrich Lütke hat Selbstvertrauen mit seinen 61 Jahren und seinem Einblick in verschiedene Gastronomiebereiche.

Die Beschäftigung einer gehörlosen Mitarbeiterin war für ihn Neuland

Damals, als die Mitarbeiterin einer Gehörlosenschule auf ihn zukam und ihn bat, die gehörlose Rebecca Miebach einzustellen, hat er allerdings gezögert. Eigentlich wollte er ablehnen. Das traute er sich nicht zu. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits eine Frau mit Behinderung beschäftigte. Aber diese Mitarbeiterin kann trotz ihrer Einschränkung die von ihr verlangte Tätigkeit zu 100 Prozent ausüben. Ulrich Lütke hat für sie nicht einen einzigen Förderantrag gestellt, zum einen, weil er keinen Papierkram mag, wie er zu sagen pflegt, und zum anderen, weil er damals auch noch nichts über die unterschiedlichen Fördermöglichkeiten wusste.

Aber bei der Einstellung einer gehörlosen Mitarbeiterin musste er auch die Sicherheit am Arbeitsplatz neu überdenken. „Das war für mich Neuland“, sagt der Firmenchef. Dennoch – im Januar 2013 fing Rebecca Miebach bei der Firma Hauskoch an. Ulrich Lütke musste man nicht lange überreden. Sein Zivildienst bei der Rheinischen Landesschule für Körperbehinderte in Düsseldorf, heute LVR-Schule am Volksgarten, hat ihn geprägt und für die Menschen sensibilisiert.

Zwei Frauen in einer Großküche. Beide tragen weiße Kittel und blau-weiß gestreifte Mützen. Sie stehen hinter einer Bandtransportspülmaschine.
Rebecca Miebach und Sarah Samse an der neuen Bandtransportspülmaschine. Foto: Manfred Hogreve / LVR

Das LVR-Inklusionsamt unterstützte den Firmenchef bei dieser Entscheidung

Aber dieses Mal nahm er die Unterstützung und Förderung dankend an: Im November 2012 stellte Ulrich Lütke über das Jobcenter für Rebecca Miebach den Antrag auf Eingliederungszuschuss. Vom LVR-Inklusionsamt bekam er zusätzlich zur Einstellungsprämie finanzielle Unterstützung über den Beschäftigungssicherungszuschuss. Wenn es um betriebliche Regelungen ging, stellte ihm das LVR-Inklusionsamt einen Dolmetscher zur Seite.

Rebecca Miebachs Hauptaufgabe bestand anfangs darin, die Haubenspülmaschine zu bedienen. Heute bereitet sie eigenständig verschiedene Speisen zu. „Mir macht meine Arbeit Spaß, weil ich mit der Zeit immer mehr machen konnte. Die Abwechslung gefällt mir“, sagt Rebecca Miebach. Zunächst kommunizierte sie mit den Kolleginnen und Kollegen, indem sie Zettel schrieb. Mittlerweile haben aber einige auch einfache Teile der Gebärdensprache gelernt.

In der Cateringfirma arbeiten fünf Menschen mit Behinderung

Vor gut drei Jahren wurde Ulrich Lütke gefragt, ob er sich vorstellen könnte, noch eine weitere gehörlose Mitarbeiterin einzustellen. Dieses Mal zögerte der Firmenchef nicht. Die beiden Frauen arbeiten mittlerweile im Team. Sie bedienen unter anderem die Bandtransportspülmaschine zum Spülen und Trocknen von Geschirr und Töpfen. Der Technische Beratungsdienst des LVR-Inklusionsamtes hat Ulrich Lütke die Anschaffung dieses Geräts empfohlen. Bei der alten Maschine mussten die Frauen ständig fühlen, ob das Programm zu Ende ist. Das Signal konnten sie nicht hören. Bei der Bandtransportspülmaschine hingegen sortiert eine der beiden das schmutzige Geschirr in die Maschine ein und die andere räumt es am anderen Ende wieder heraus. Die Vorteile kann Ulrich Lütke klar benennen: Strukturierung, effektiveres Arbeiten, Wertschätzung seiner Mitarbeiterinnen, die jetzt nicht mehr im heißen Wasserdampf stehen und alle paar Sekunden fühlen müssen.

Im Hinblick auf die Anzahl seiner Mitarbeitenden müsste Ulrich Lütke aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Beschäftigungspflicht zwei Menschen mit einer Schwerbehinderung beschäftigen. Bei ihm arbeiten aber fünf. „Menschen mit Behinderung zu inkludieren, ist unsere gesellschaftliche Verpflichtung, und ich weiß, dass es funktioniert. Ich bin kein Samariter, auch ich denke und handle wirtschaftlich“, sagt der Firmeninhaber. Die Fördermittel für Rebecca Miebach hat er vergangenes Jahr auslaufen lassen. Mit ihrer Kollegin Sarah Samse möchte er im nächsten Jahr genauso verfahren. Beide arbeiten mittlerweile so gut wie seine Mitarbeitenden ohne Behinderung. Auch deswegen vergisst er manchmal, wer von ihnen eine Beeinträchtigung hat und wer nicht. Und genau das bedeutet für ihn Inklusion.

Kontakt zum LVR-Inklusionsamt

Website des LVR-Inklusionsamtes: www.inklusionsamt.lvr.de

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